„Acht Stunden Arbeiten, Acht Stunden Schlafen und Acht Stunden für FreundInnen und andere Dinge, die eigentlich niemanden etwas angehen, das war ziemlich überzeugend. So dachten wir und so hofften wir. Doch dann kam Industrie 4.0, Christian Kern und Türkis-Blau. Acht Stunden, so heißt es heute, ist nicht mehr zeitgemäß. Wieso?“ – Gedanken und Erinnerungen von Boris Lechthaler zur Debatte um den 12-Stunden-Arbeitstag.

Manchmal hofften wir, es würde ein Gewitter kommen und so richtig regnen. Dreinregnen. Ins Heu. Wenn es regnet, war es vorbei mit der Arbeit. Wenn der Schweiß reinrann in die Arschfalte und die Arme nicht mehr länger ausholen wollten mit dem Rechen und die Wiese immer noch so riesig und unbearbeitet war, dann hofften wir manchmal, dass es regnet. Wenn der Vater schrie, wir sollten das Gras nicht zu Haufen rechen, sondern schön auseinanderverteilen. Wenn das Gras noch feucht und schwer war, dann hofften wir manchmal, es würde ein Gewitter kommen und so richtig regnen. Freilich wussten wir, wenn das Gewitter kommt und es so richtig reinregnet, dann ist das Gras am nächsten Tag noch schwerer und stinkt. Aber eben erst am nächsten Tag und nicht mehr heute. Für heute war Schluß. Wenn es regnete.

Wir träumten von Maschinen. Am besten das Gras würde in Fabriken wachsen. Per Knopfdruck gemäht. Ohne zu schoppen. Ohne bei laufendem Messer, ratterndem Motormäher und schreiendem Vater das geschoppte Gras aus dem Messer entfernen zu müssen. In der Heufabrik würden sich türmende Grashaufen per vibrierendem Boden von selbst verteilen. Dank Trocknungsanlage wäre man auch völlig unabhängig von den willkürlichen Einfällen des Wetters. Nach dem Besuch des Freibads, indem sich in der Regel all jene Mädchen aufhalten, die nicht mit Heuen und solchen Dingen beschäftigt sind, könne man noch kurz das fertige Heu inspizieren, um es dann per Knopfdruck in die Scheune zu verfrachten. Das ist Zukunft. So dachten wir.

Einmal hatten sich meine Eltern, während es schon dunkel war, noch entschieden, das Heu von so genannten Heigern heimzuführen. Eine Regenfront war angesagt. Ich war vielleicht 6-7 Jahre alt und wollte unbedingt dabei sein. Arbeiten bei Nacht, welch ein Abenteuer. Die Arbeit ging leicht von statten. Vielleicht auch deshalb, weil nächtens nicht so viel geschrien wurde. Zur Belohnung gabs gebratene Knacker. Machten mich diese ansonsten hellwach, musste sie mir diesmal meine Mutter halbschlafend in den Mund schieben. Noch heute ist es mir leid um dieses mehr verschlafene Vergnügen.
Das war halt so, an den Rändern, an denen die Moderne mit der überkommenen Subsistenz geschmust hat. In der Zukunft würde es das nicht mehr geben. So dachten wir. Es war ja auch schon mehr als 50 Jahre her, dass der Acht-Stunden-Tag eingeführt wurde. Acht Stunden Tag, das wussten wir, ist eine Sache der Industrie. Da wird alles geplant. Gewitter, plötzlich auftauchende Regenfronten und solche Dinge spielen da in der Regel keine Rolle. Acht Stunden Arbeiten, Acht Stunden Schlafen und Acht Stunden für FreundInnen und andere Dinge, die eigentlich niemanden etwas angehen, das war ziemlich überzeugend.

So dachten wir und so hofften wir. Doch dann kam Industrie 4.0, Christian Kern und Türkis-Blau. Acht Stunden, so heißt es heute, ist nicht mehr zeitgemäß. Wieso? Kommt ein Gewitter? Müssen wir noch schnell das Heu heimführen, bevor es drei Wochen schledert? Was ist schon ein Gewitter gegen Auftragsspitzen, die sich im Internet dank Industrie 4.0 zusammenbrauen. Die müssen natürlich abgearbeitet werden. In 12 Stunden Schichten.

Könnte es sein, dass wir verarscht werden? Da gibt es eine Armee an Führungskräften und IT-Ingenieuren, die dafür beschäftigt werden, das Leben planbar zu machen, und plötzlich heißt es: „He Buam, heit deafts nu net hamgeh. Wir haben gerade eine Auftrag über 5000 Dieselmotoren reinbekommen. Das muss abgearbeitet werden.“ Wo bitte bleibt das Gewitter? Ich muss heim zu meinen Kindern. Und außerdem bin ich scharf auf meine Frau. Eigentlich würden wir uns von dieser Armee an Zukunftsgestaltern erwarten, dass unsere Bedürfnisse und damit der Acht Stunden Tag Parameter in ihren Programmen sind. Jedoch zeigt sich, dieser Parameter wird nicht einprogrammiert. Wenn es ums Geschäft geht, heißt es schuften: 12 Stunden am Tag, 60 in der Woche. Nicht wegen eines Gewitters, sondern ausschließlich wegen des Profits.

Boris Lechthaler
(Jänner 2017)

PS: Was ihre Arbeitsleistung anbelangt, gehören Österreichs Beschäftigte zu den fleißigsten in Europa. Wertmäßig produktiver ist eine Arbeitsstunde derzeit nur in Irland, Luxemburg, Belgien, Norwegen und in der Schweiz. Der Output pro Arbeitsstunde in Österreich ist (in Geld bewertet) um 16,4% höher als im EU-Schnitt und um 6,8% höher als im Euroraum. (Neues Volksblatt, 22.12.2017)